Sogenanntes Tintenfass Martin Luthers

Ein legendäres Wurfgeschoss

Luthers Wurf mit dem Tintenfass gehört zu den bekanntesten Erzählungen über das Leben des Reformators. In dem an Sagen und Märchen besonders interessierten 19. Jahrhundert wurde die Legende vielfach verbreitet, so dass sie sich nachhaltig in das kulturelle Gedächtnis des deutschsprachigen Raumes einprägte. So schildern auch die Brüder Grimm: „Doktor Luther saß auf der Wartburg und übersetzte die Bibel. Dem Teufel war das unlieb, und hätte gern das heilige Werk gestört; aber als er ihn versuchen wollte, griff Luther das Dintenfaß, aus dem er schrieb, und warfs dem Bösen an den Kopf.“
Das Wolfenbütteler Tintenfass fungiert sowohl als ‚Reliquie‘ aus dem persönlichen Besitz Luthers als auch als Erinnerungsstück an diese Legende. Allerdings ist seine tatsächliche Herkunft bislang ungeklärt. Die wohl früheste Erwähnung findet sich 1709; Reiseführer zählen das Tintenfass bis weit ins 19. Jahrhundert zu den von internationalen Besuchern gewürdigten Sehenswürdigkeiten der Stadt Wolfenbüttel.
Auf lutherischer Seite fand die Verehrung derartiger Reliquien keineswegs ungeteilten Zuspruch. Sowohl die Erwartungen an die Wirksamkeit bzw. Wundertätigkeit der Objekte als auch die darauf aufbauende Vermarktung geriet zur Zielscheibe des Spottes: Der Historiker und Rechtsgelehrte Johann Peter von Ludewig (1668–1743) berichtet davon, dass jemand ein angebliches Tintenfass Luthers für hundert Dukaten gekauft habe, „weil er sich eingebildet, daraus um so viel geistreicher zu schreiben“.